Lucia Dellefant schafft mit ihren Installationen und der farbkräftigen Malerei raumgreifende Reflexionsorte. Sie spricht den Betrachter direkt an und eröffnet ihm Räume für experimentelles Denken. Die Künstlerin hinterfragt mit ihren Arbeiten immer wieder das Verhältnis des Individuums in Bezug auf aktuelle gesellschaftliche und politische Themen.
"upcycling society" ist eine Ausstellungsreihe, die den anstehenden Wandel der Gesellschaft thematisiert. Wenn wir wirklich in einer anderen Welt leben wollen, so Dellefant, gilt es positive Visionen der Zukunft zu entwickeln, statt das derzeitige System notdürftig instant zu halten.
Wo ist der "Wille zur Zukunft, ein Zukunftsbegehren, das sich (...) gegen die Imaginationsschwäche und den Negativismus richtet" (Armen Avanessian 2013)?
In level 2 geht sie der Frage nach, warum wir zögern, Zusammenhänge neu zu denken. Was hindert uns daran Experimente zu wagen? Und wo bleibt der Mut, leidenschaftlich Utopien zu formulieren?
In ihrer Malerei konstruiert Lucia Dellefant architektonische Räume, die unserem herkömmlichen dreidimensionalen Sehen nicht entsprechen. Die Kombinationen unterschiedlicher Perspektiven fordern uns, immer wieder neue Standpunkte einzunehmen und ermöglichen uns so ungewohnte neue Sichtweisen. Ihre Malerei, mal präzise, mal malerisch in Auflösung begriffen, lässt uns nicht innerhalb eines Stils ruhen. Hinzu kommen Textebenen, die uns innerhalb dieser komplexen Strukturen in eine Richtung lenken. Die Formulierungen lassen jedoch keine eindeutige Interpretation zu. Diese Art der Malerei in Verbindung mit Textebenen eröffnet uns einen weiten Raum selbstbestimmten und spekulativen Denkens.
Die Arbeiten "imagine the impossible", "what do you have to lose" und "you are a designer of the future" lassen eindeutig den Willen erkennen eine Zukunft zu imaginieren und nicht dem Stillstand Raum zu gewähren. Angeregt von der aktuellen philosophischen Bewegung des spekulativen Realismusses hat sie Sätze und Fragen formuliert.
Einzelne formte sie zu dreidimensionalen Objekten, die unseren realen Raum durchqueren. The time for compromise is over kommt auf uns zu und vermittelt nicht zuletzt physisch ob seiner Größe die Notwendigkeit Denkbarrieren abzubauen. Wer den Kompromiss von Anfang an mitdenkt kann seine Gedanken eben nicht über die derzeitigen Denkmuster hinaus richten. In Papierform plakatiert sie diese Sätze im öffentlichen Raum und durchdringt so unseren Alltag.
Sie fragt und appelliert, eröffnet dem Betrachter persönliche Assoziationsräume und lässt ihn zu einem Akteur innerhalb eines gemeinsamen gesellschaftlichen Prozesses werden.
"rethinking resources"
Ich bleibe dabei. Es gibt kaum bessere Gelegenheiten, etwas über Künstler und ihr Werk zu erfahren, als ihnen beim Aufbau einer ihrer Ausstellungen zuzuschauen. Einen weiteren Beweis für diese These lieferte jetzt Lucia Dellefant.
Und ebenso kompromisslos, wie die Münchner Malerin, Bildhauerin und Designerin ihre Botschaften gegen Unentschlossenheit und Bequemlichkeit formuliert, packt sie an. Mit der Messe- und Ausstellungsbauerin Kirsten Jäger ringt Dellefant bei der Montage der größten ihrer zwölf Arbeiten um jeden Millimeter. Misst und montiert, schleppt und schuftet, misst noch einmal, bis sich der Kernsatz ihrer Dortmunder Präsentation fugenlos und in großen Buchstaben von der Galeriewand gelöst und trotzig verstörend in den Raum gestellt hat.
"The time for compromise is over". Das gilt bei Lucia Dellefant denn auch für alle Verschraubungen, Ecken und Kanten. Das nimmt sie genau. Die Künstlerin weiß, was sie will und wie sie es bekommt, wenn sie das Publikum durch unmögliche Perspektiven jagt, die nur auf den ersten Blick oberflächlich bunt und nett beschildert wirken. Der eigentliche Zweck ist anders und sehr klar. Genauso klar wie Dellefants Kompromisslosigkeit: Wer nicht (mehr) weiß, wo er steht, der hat den Abgrund bereits hinter sich.
Es macht Spaß, Lucia Dellefant bei der Arbeit zuzusehen und zu beobachten, wie sie kritisch und weltweit als "Gesellschaftsdesignerin" das steinige Feld zwischen praktizierter Kunst und politischem Handeln beackert. Wo sie uns eine "revolution app" empfiehlt und fragt, welche Rolle wir übernehmen wollen. Ob wir überhaupt noch etwas mit dem Begriff "Natur" anfangen können ("how close do you feel to nature?"), wenn davon in einer Undurchschaubarkeit aus graubrauner Hektik nur noch ein Fleckchen Grün übrig geblieben ist.
Frank Vinken | dwb
RESPONSIBLE
Irritierend und anachronistisch wird es erscheinen, wenn ich meine Einführung zur Ausstellung „responsible“ von Lucia Dellefant mit einem Verweis auf Friedrich Schiller und auf seine Ausführungen über die ästhetische Erziehung des Menschen beginnen möchte. In hehren Worten entwickelte dieser seine Ideen über die „veredelnde Wirkung der Kunst“, denkt dieser in seinen Briefen nach über den Bezug der Kunst auf die Gesellschaft im Allgemeinen und auf den einzelnen Menschen im Besonderen.
Als Utopie entwirft er ein Bild des ästhetischen Zustandes, durch den der Mensch vom Leiden des bloß physischen Seins befreit und aller Festlegungen und Bestimmungen enthoben wird. Diese enge Verbindung von Kunst und Alltag wurde in der Folge abgelöst durch ein gegenläufiges ästhetisches Konzept, so wie es Kant in seiner „Kritik der Urteilskraft“ formuliert hat. Hier wird der Kunst ein praxis-
ferner, ein autonomer Bereich zugewiesen, in dem gerade der Gegensatz des ästhetischen Urteils zum zweckgerichteten Denken und Handeln herausgestellt wird. Und hier heißt es ja auch, dass das der Qualität nach schön ist, was ohne jedes Interesse gefällt. Und somit wird eben die Spaltung ausdrücklich zwischen Kunst, Wirtschaft, Alltag, Reich der Notwendigkeit konstruiert. Künstler haben diesen im Idealismus vertieften Graben immer wieder zu überspringen versucht und das Experiment verfolgt, Kunst und Leben zumin-
dest einander anzunähern.Vor allem Beuys ging es um eine ganzheitliche Erfassung aller Fragen der Schöpfung, der Natur und des menschlichen Lebens im Rahmen eines erweiterten Kunstbegriffs.
In Zeiten der Allgewalt des Kunstmarktes ist es allerdings weitaus schwieriger geworden, die Positionen von Schiller und Kant klar gegeneinander abzugrenzen. Kunstwerke, die mehr oder wenig unumstritten dem Bereich der autonomen Künste zugeordnet werden können, lassen sich ohne großen Widerstand dem Messegeschehen subsumieren, während konzeptuelle Kunstformen, die gerade den Gegensatz von Kunst, Wirtschaft und Gesellschaft zu überbrücken suchen, sich eher in Nischenräumen wie Kunstvereinen und Künstlerhäusern, unter Ausschluss der großen Publikumsströme, präsentieren lassen. Diese Problematik ist von Seiten der Künstler und Kuratoren grundsätzlich mit zu bedenken.
Lucia Dellefant hat für sich Strategien gefunden, die sich scheinbar ausschließenden Konzepte über die „ästethische Erziehung des Menschen“ und über das „autonome Kunstschöne“ einander anzunähern. Bei der Umsetzung ihrer Ideen lässt Lucia Dellefant sich kaum auf eine künstlerische Technik festlegen, wobei all ihre Werkgruppen eng miteinander verwoben sind. Sie verfolgt dabei das Ziel, kommunikative Prozesse in der Gesellschaft aufzunehmen oder anzustoßen, dann auch zu gestalten und zum Ausdruck zu bringen. Aus Begegnungen und Dialogen mit Menschen entwickeln sich gebaute Interieurs, möbelhaft anmutende Arrangements oder Raum-
installationen. Parallel hierzu entwickeln sich auch malerische Arbeiten, die beispielsweise auf Umfrageaktionen basieren, in denen Menschen nach ihren ganz individuellen Wünschen und Ängsten befragt werden. Die Künstlerin wählt besonders prägnante Aussagen, die dann in den Gemälden mit abstrakten Farb-Form-Konstellationen verknüpft werden. Diese wiederum sind aus fotografischen Recherchen abgeleitet und abstrahiert, ohne sich auf die ursprüngliche Stadt- oder Landschaftstopographie zurückbeziehen zu lassen. Es geht eher darum, Text- und Bildstrukturen in einer gemeinsamen Komposition zusammenzuführen, um damit beim Betrachter wiederum nicht vorhersehbare Empfindungen und Assoziationen auszulösen.
Bereits seit mehreren Jahren entwickelt sich so an verschiedenen Standorten und Institutionen das Projekt „visioning“, in dem Lucia Dellefant unterschiedliche Vertreter aus den Bereichen von Kunst und Wirtschaft im Sinne eines kontroversen Austausches wie auch zur Formulierung gemeinsamer Visionen zusammenführt. Diese Begegnungen erfolgen im Rahmen von Einzelausstellungen der Künstlerin, denen durch ein hierfür geschaffenes Sitzmobiliar ein bühnenhafter Charakter gegeben ist. Die Distanz von Zuhörern und Darstellern ist so weitestgehend aufgehoben, um damit auch das Ziel, Distanzen und Gegensätze zu überbrücken, anschaulich er-
fahrbar werden zu lassen.
Eine weitere Aktionsserie entfaltet sich ausgehend vom Aktionsobjekt des „award of change“. Hierbei handelt es sich um eine Aus-
zeichnung für Einzelpersonen oder Organisationen, die Veränderungen bestehender Strukturen innerhalb der Gesellschaft einleiten. Auf ihrer eigenen Website bewirbt sie diese Trophäe mit den Worten: „Der ‚award of change‘ steht für den Mut, eingefahrene Mecha-
nismen und Regeln zu überdenken und dahingehend neu zu gestalten, dass ein Leben in Frieden, Freiheit und sozialer Gerechtig-
keit unter Berücksichtigung der Folgen für Umwelt und nachfolgender Generationen möglich ist. Die Voraussetzungen dafür scheinen jedoch durch Interessen der globalen Wirtschaft, nationaler und internationaler Politik immer mehr gefährdet zu sein. So gilt es, nicht nur anstehende Umstrukturierungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft voranzutreiben, sondern auch Veränderungen jedes Einzelnen in seinem unmittelbaren Umfeld zu honorieren.“
Die Ausstellung im Kunstverein Mönchengladbach ist Auftakt einer weiteren Aktion Lucia Dellefants. Wieder steht ein hierfür geschaf-
fenes, aus einem Logo abgeleitetes Objekt – „responsible“ - im Zentrum ihrer Aktion. Parallel hierzu hat die Künstlerin über ein Profil auf ‚facebook‘ eine Plattform für Begegnungen, Diskussionen und Auseinandersetzung geschaffen. Dadurch verschafft sie sich die Möglichkeit, den je lokal begrenzten Radius ihrer Aktion zu durchbrechen und eine internationale, sich kontinuierlich weiter entwickeln-
de Perspektive zu eröffnen. Ein gedruckter Folder begleitet und propagiert das Aktionsprojekt. Als Werbestrategie macht sie sich also – im Sinne einer vielschichtigen PR-Kampagne – das Internet und gleichzeitig klassische Printmedien zu Eigen.
Die Aktion läuft in folgender Weise ab: Lucia Dellefant wählt herausragende Menschen aus Politik und Wirtschaft aus, denen dann der Informationsfolder verbunden mit einem Appell zugestellt wird. In ihrem Anschreiben konfrontiert sie diese Personen mit einer sum-
marisch zusammengefassten Darstellung der prekären wirtschaftlichen und ökologischen Situation unserer Welt. Davon ausgehend vergegenwärtigt sie dem jeweils Angesprochen seine Verantwortung – nicht zuletzt auch für diese Zustände – in der Gegenwart. Zu diesen gehören bereits jetzt: Angela Merkel, Josef Ackermann sowie weitere Leitfiguren aus Banken und Gewerkschaften. Hiervon leitet Lucia Dellefant die Forderung ab, strategisch umzudenken und zum Wohle aller, des Unternehmens, der Mitarbeiter, der Kunden und der Allgemeinheit zu agieren. Ackermann konfrontiert sie so mit ihrer eigenen Vision einer wertorientierten Unternehmenskultur, die Vorbildcharakter und Signalwirkung für eine gesamtgesellschaftlich zielorientierte Entwicklung der Finanzmarktstrukturen darstellen wird. Als Bekenntnis hierzu lädt sie dazu ein, das Logo „responsible“ für sich selbst wie auch die Mitarbeiter zu erwerben und dann auch selbstbewusst wie ein Schmuckstück gut sichtbar am Körper zu tragen und so die weitere Propagierung dieser Vision zu befördern.
Fotomontagen als Bestandteil dieser Ausstellung kommen der Entscheidung der Angesprochen bereits zuvor. Sie zeigen beispiels-
weise Angela Merkel mit einer entsprechenden Halskette, während Josef Ackermann sich stolz mit einem solchen Schmuckstück an der Brust präsentiert. Beim Betrachter stellt sich Verunsicherung ein, vermag er doch kaum noch Fake und Realität, Propaganda und Wirklichkeit voneinander zu unterscheiden. Hier macht Lucia Dellefant sich Strategien aggressiver Werbekampagnen zu Eigen.
Um der Aktion einen angemessenen Rahmen zu geben, hat die Künstlerin den Ausstellungsraum des Kunstvereins Mönchenglad-
bachs durch einen weiteren, eingezogenen Raum grundsätzlich verändert Die Wände sind zeltartig mit Planen aus Polyethylen überzogen. Die Besucher fühlen sich durch diese Ummantelung von der Außenwelt abgeschlossen, nahezu klaustrophobisch ein-
geengt. Es vermittelt sich ein Gegensatz zwischen der internationalen Ausrichtung des Projekts „responsible“ und der hier empfun-
denen Ausgrenzung. Dem Raum eignet weniger der Charakter eines Ausstellungsraumes für künstlerische Werke, als vielmehr eines Messestands für die Kampagne eines neu auf den Markt zu lancierenden Produkts. Die weitere Entwicklung dieses künstlerischen Projekts bleibt unabsehbar. Vollkommen unklar bleibt etwa, wie die Angesprochenen auf das ihnen zugestellte Schreiben reagieren werden. Allein dem Betrachter, der das Projekt auf ‚facebook‘ weiter verfolgt, wird sich erschließen, ob es von Seiten der ange-
schriebenen Personen ein positives Feedback, damit auch eine mögliche Überführung der Vision in die Wirklichkeit geben wird. Lucia Dellefant verlässt mit ihren Aktionen das klassische Rollenbild des Künstlers mit aller Konsequenz. Sie stellt sich selbst mit ihren Kampagnen in die Öffentlichkeit. Sie setzt sich durch ihre Provokationen möglicher Kritik und Anfeindungen aus und nimmt bewusst die Rolle eines Brokers im Sinne einer Produktkampagne ein. Damit lehnt sie sich gleichzeitig gegen gewohnte Strukturen und Hierarchien im Kunstbetrieb auf. Dementsprechend wird das Projekt „responsible“ in den kommenden Jahren als ‚work in progress‘ an verschiedenen Orten und Institutionen zur Aufführung gebracht, um auf je lokaler Ebene eine größtmögliche Öffentlichkeit zu finden.
Lucia Dellefant nimmt den temporären und ephemeren Charakter dieser Kampagnen in Kauf, um sich damit auch den Verwertungs-
mechanismen des Kunstmarktes zu entziehen. Ein wesentlicher Bestandteil ihrer künstlerischen Arbeit liegt darüber hinaus aber auch in der Teilnahme an Kunst-am-Bau-Wettbewerben. Dabei zielt Lucia Dellefant aber auch in der Konzipierung und Durchführung dieser Projekte auf deren partizipatorischen Charakter, um damit auch eine nachhaltige Akzeptanz und Identifikation zu gewährleisten. Indem Lucia Dellefant durch immer neu ansetzende Projekte und die selbstkritische Befragung ihrer Methoden das Verhältnis von Kunst, Wirtschaft und Gesellschaft neu bestimmt, findet sie auch für das Rollenbild des Künstlers ganz neue Gestaltungsansätze. Sie begibt sich unmittelbar in die Strukturen von Unternehmen und Institutionen hinein, was auch bedeutet, in Betracht zu ziehen, dass eine innerbetriebliche Kritik besser greift als eine solche von außen. Alternativ zu einer rein theoretischen Auseinandersetzung entwickelt Lucia Dellefant beispielhafte Situationen für die konstruktive Teilhabe an Politik und Wirtschaft im Sinne eines übergreifenden Lebensmodells.
Christoph Kivelitz
anlässlich der Eröffnung der Ausstellung "responsible" im Kunstverein Mönchengladbach 2010
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Dieser Warnhinweis auf einem kleinen rotumrandeten Aufkleber ziert seit einigen Jahren die Briefumschläge, die Lucia Dellefant auf dem Postweg verschickt. Aktuelle Diskurse wie etwa über die Kontrollgesellschaft geben Lucia Dellefant immer wieder den Anstoß für neue künstlerische Projekte und Aktionen. Aber auch das Anknüpfen an künstlerische Traditionen wie Mail Art, Installations- und Interventionskunst oder Malerei ist für die Künstlerin eine von vielen Möglichkeiten, ihre künstlerische Haltung zu materialisieren und zu verbreiten.
Diese Methode, je nach Bedarf, das heißt, nach inhaltlicher und formaler Notwendigkeit, sich eines künstlerischen Themas oder eines bestimmten Ausdrucksmediums zu bedienen, lässt ihr Werk vielseitig, mitunter auch verwirrend heterogen erscheinen, denn Lucia Dellefant geht es weniger um die marktgerechte Kultivierung eines Stils, als um die Visualisierung ihrer Konzepte und künstlerischen Haltung. Nur so lassen sich unterschiedliche künstlerische Denk- und Handlungsstrategien als stimmiges Gesamtkonzept verstehen.In ihrer Malerei und ihren räumlichen Inszenierungen befasst sich Lucia Dellefant mit ökonomischen, psychologischen und gesellschaftlichen Phänomenen. Für ihre künstlerische Praxis ist dabei kennzeichnend, dass sie gesellschaftspolitische und sozialpsychologische Fragestellungen nicht illustriert, sondern diese zunächst in kommunikativen und partizipativen Projekten spiegelt. Unter den Titeln „personal strategy“ und „life design“ zeigte die Künstlerin in den letzten Jahren groß- und mittelformatige Bilder, die aus farbintensiven Hintergründen, architekturartigen Formelementen, trompe l`oeil Malerei, vagabundierenden Outline-Formen und eingefügten Aussagesätzen bestehen.
Zunächst fällt es schwer, einen Zusammenhang zwischen dem Titel „personal strategy“, der einem Managermagazin entnommen sein könnte, und einer Malerei herzustellen, die sich durch einen fehlenden Duktus und eine betonte Flächigkeit sowie durch das Sampeln von heterogenen Versatzstücken aus Architektur und Wohndesign auszeichnet. In gleicher Weise scheinen auch die vor farbigem Hintergrund schwebenden Textbänder und Wortblöcke keine Beziehung zu den Bildmotiven aufzuweisen: Weder verweisen die in Dellefants bevorzugter Typografie Eurostile gefassten Sätze auf die Bildmotive, noch illustriert die Malerei die in den Texten enthaltenen Informationen.
Der Schlüssel zu Lucia Dellefants visuell-verbalen Bildern liegt in ihrer experimentellen Verfahrensweise, die sich unter anderem in Aktionen äußert, bei denen die Ausstellungsbesucher zum Mitgestalten aufgefordert werden. Die Bilder zu den Projekten „life design“ (ab 2003), „personal strategy“ (2005) und „visioning“ (ab 2007) sind daher nicht als Produkt von Ateliermalerei, sondern als Synthese aus dem Malereifundus der Künstlerin und aus Untersuchungsreihen zu verstehen, die zwischen 2000 und 2008 in unterschiedlichen Ausstellungsorten durchgeführt wurden.
Wesentlicher Bestandteil der Projekte waren neben den auf Wänden präsentierten Textbildern ebenfalls (wohn-) räumliche Inszenierungen, die von den Ausstellungsbesuchern benutzt werden konnten. Ursprung der Projekte war zur Jahrtausendwende die Ausstellung ICH, deren Setting aus einer dreiteiligen Sitzlandschaft bestand, die zum Wort ICH zusammengefügt war. Es lagen Fragebögen aus, die von den Nutzern der Chillout-Landschaft ausgefüllt werden konnten. Durch die Anordnung konnten sich mehrere Besucher aufeinmal ungestört liegend oder sitzend auf Ich-Suche begeben. Die ausliegenden Fragebögen waren nach dem Vorbild von Persönlichkeitstests gestaltet, die normalerweise zur Erfassung individueller Eigenschaften bei Einstellungsverfahren oder zur Selbsterkenntnis bei Psychotests dienen. Das Testverfahren war so aufgebaut, dass jeder Teilnehmer vierzehn sehr persönliche Fragen, die sich auf seine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bezogen, beantworten konnte. In kurzen Sätzen sollten die Teilnehmer Auskunft über ihre derzeitige Lebenssituation, den Grad ihrer Zufriedenheit und ihres Selbstbewusstseins, über ihre Wünsche und Selbstkritik, ihre Lebensentwürfe und Zukunftsvisionen geben.
Durch die aktive Mitwirkung der Besucher und der nachfolgenden Veröffentlichung der anonymisierten Fragebögen auf der Homepage der Künstlerin, wurden die privaten Emotionen und Wünsche, die Motivationen und Projektionen zum Bestandteil eines öffentlichen Kunstprojekts und damit zum Teildiskurs im Kunstbetrieb. Der amerikanische Stadtsoziologe Richard Sennett beschreibt in seiner 1974 verfassten Studie "Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität" das Verschwinden der Grenzen zwischen Öffentlichkeit und Privatheit mit der Erklärung, dass das Öffentliche immer mehr privat und das Private in zunehmendem Maße öffentlich wird. Dieses Phänomen, das inzwischen durch die elektronischen und digitalen Medien massiv verstärkt wurde, ist, wie die zahlreichen interaktiven Foren und die Befindlichkeitssendungen im Privatfernsehen belegen, verknüpft mit einer Kultur des Mitmachen-Wollens und dem Bedürfnis nach „se mise-en-scène“. Dieses außengeleitete Sein kann jedoch nur funktionieren, wenn es eine Klientel gibt, die das Zur-Schau-Stellen von Privatem und Intimen auch goutiert und durch Einschaltquoten fördert. Aus diesem Wechselspiel von Selbstrepräsentation und Voyeurismus beziehen die Bilder Lucia Dellefants eine ganz spezielle Intensität. Mit der Serie „life design“ und dem Nachfolgeprojekt „visioning“ greift Lucia Dellefant diese gesellschaftlichen Tendenzen und Bedürfnisse auf. Sie verzichtet jedoch darauf, diese psychologisch zu analysieren oder gar für voyeuristische Zwecke auszubeuten.
Dass hier nicht ein spektakuläres psychologisches, sondern ein künstlerisches Interesse im Vordergrund steht, wird durch die Weiterverarbeitung des Befragungsmaterials deutlich. Für die Textübertragung auf die Acrylarbeiten wurden immer nur Antworten über persönliche Zukunftsvisionen und Bedürfnisse zufällig ausgewählter Probanten in die schon vorbereitete Bildfläche eingebettet. Die Texte nehmen dadurch die letzte Bildschicht ein und wirken dabei überraschend, mitunter auch irritierend.
Die aleatorische und sampelnde Vorgehensweise provoziert eine fehlende Kontingenz von Form und Inhalt, von Bildatmosphäre und Textimplantat, so dass die durch Werbeplakate, Reklamespots und comichafte Text-Bildkombinationen trainierte Wahrnehmung fast automatisch nach Entsprechungen und Referenzpunkten auf der Bildoberfläche sucht. Da alle Aussagesätze mit ICH beginnen, werden die Bilder fast zwangsläufig zu Stellvertretern imaginärer Personen, die mit ihrer ganzen Emotionalität, aber auch mit ihren Ängsten und klischeehaften bis bizarren Wünschen in den Bildern präsent sind:
„Ich möchte mal was total Verrücktes machen“
Aber auch Sehnsüchte werden formuliert wie beispielsweise „I just want to be loved“, die in sprechblasenartigen Outline-Formen einen unerwarteten Nachhall finden. Aufgrund der Personifizierung der Bilder werden plötzlich alle Elemente, die zur Bildgestaltung gehören wie beispielsweise Farben, Formen und Linien, die Malgesten, Farbpfützen und Rinnsale und ebenso auch die design- und architekturartigen Fragmente, individualisiert und zu Komplizen des Textes gemacht.
„I feel myself never close enough“ („Ich fühle mich selbst mir nicht nah genug“)
Mit echter und falscher Identität, aktiver Partizipation und konsumkritischen Fragestellungen befasste sich Lucia Dellefant bereits ab 2003, als sie dem Logo-Hype den Kampf ansagte. Bei der Logo löschenden Aktion „my-one“, die in der Tradition des „semiotic sniping“ gesehen werden kann, lässt die Künstlerin keinen Zweifel daran, wie sie die Markenhörigkeit in unserer Gesellschaft bewertet. Unter dem Motto “occupy logos and enjoy your own stuff“ überklebte sie kommerzielle Logos, die Taschen und Textilien zieren, mit my-one-Stickers. Das Überkleben und Löschen der erkauften Identität fand in Ausstellungen auch häufig mit tatkräftiger Unterstützung des Publikums statt.
„Globalisierung ist kein Schicksal – eine andere Welt ist möglich“ (attac)
Eine weitere Variante der Aneignung bereits etablierter Praktiken äußert sich in der 2005 gegründeten Initiative „award of change“. Mit der Vergabe ihres „award of change“ kehrt Lucia Dellefant die im Kunstbereich übliche Auszeichnungspraxis, die der Distinktion und Hervorhebung von Einzelpositionen dient, einfach um. Während Kunstpreise, Stipendien und sonstige Förderungsmaßnahmen von anerkannten Institutionen auf Grund von Empfehlungen aus dem Kunstbetrieb an einzelne Künstler vergeben werden, ergreift die Künstlerin selbst die Initiative und zeichnet jährlich eine Person oder eine Gruppe/Organisation mit dem goldenen Change-Award aus. Anstelle von Markteloquenz und Spekulation werden von der Künstlerin ausschließlich soziale Kompetenzen honoriert.
In den Besitz der goldenen Trophäe, die aus einer metallenen Plinthe und der Wortskulptur CHANGE besteht, können all jene gelangen, die Zivilcourage und den Mut zur Veränderung besitzen. Wie bei den institutionellen Preisverleihungen verknüpft auch Lucia Dellefant ihre Auszeichnung mit einem zeremoniellen Akt, jedoch mit dem Unterschied, dass sie mit den ritualisierten Handlungen und raum-plastischen Inszenierungen eine Metaebene bespielt. Im Zentrum der Ehrung stehen drei kreisrunde Sockel in unterschiedlichen Höhen und Durchmessern, die zur erhabenen Repräsentationsfläche der Ausgezeichneten dienen und diese für kurze Zeit zum lebendigen Denkmal stilisieren. Die den Preisträgern in feierlichem Akt überreichte Wortskulptur.
Die erste Auszeichnung erhielt im Jahre 2005 die globalisierungskritische Organisation "attac". Die Gruppierung, die für Demokratie und Gerechtigkeit und gegen die rücksichtslose Ausbeutung von Ressourcen im Zuge der Globalisierung eintritt, trägt mit ihrer aktivistischen Praxis jenen Anteil bei, den die zeitgenössische Betriebskunst nur auf symbolischer Ebene abhandelt, letztendlich aber schuldig bleiben muss. Für diejenigen, die bereit zum persönlichen Engagement sind, bleibt zum Trost oder auch als Ansporn die käuflich erwerbbare Sparausführung, der silberne "award of change".
"Let's develop a clear sense of purpose and goals to focus and drive the creative energy." 1 (Werbeslogan für „visioning“ der us-amerikanischen Beraterfirma creativeadvantage)
Mit dem Projekt „Visioning“ (2007-2009) erweitert Lucia Dellefant ihre künstlerische Praxis hin zu einer kritischen Variante der „ambient art“, in der Interaktion, Partizipation und die Erzeugung von Atmosphären eine entscheidende Rolle spielen. Zunächst scheint „visioning“ auf Termini im Businessbereich anzuspielen, in denen Zukunftsvisionen formuliert, Erfolgsstrategien entwickelt und Zielvereinbarungen getroffen werden. Innerhalb von Lucia Dellefants kritischer Praxis wird „visioning – meeting your vision“ jedoch seiner Bedeutung als „brain former“ beraubt. Die Methode der Verfremdung und Entstellung erinnert dabei an Praktiken des Culture Jammings, die eingeführte Marken, Logos oder Firmenbezeichnungen (in ihrer Bedeutung) entkernen und für ihre Antikampagne nutzen. Die Methode der Entwendung beschränkt sich jedoch nicht nur auf die begriffliche Ebene, sondern setzt sich fort über die Aneignung von standardisierten Motivationstexten aus Coachingseminaren, die je nach Ausstellungssituation auf Wand- oder Bildflächen aufgetragen werden und als Katalysatoren auf den Betrachter wirken sollen. Mit dieser Form der Aneignung und Umdeutung der Slogans und Methoden von Beraterfirmen wird anstelle von angepasster Zielstrebigkeit und Erfolgsorientiertheit ein gesellschaftliches Gegenmodell im Ausstellungsraum etabliert. „Visioning“ funktioniert nun als Impulsgeber für Kommunikations- und Handlungsprozesse, in denen modellhaft Vorstellungen von idealen Lebens- und Kommunikationsformen für eine begrenzte Dauer zur Anwendung kommen. Zentrales Gestaltungselement von „visioning“ sind mit farbigen Plastikbändern bespannte Sitzlandschaften, die an Gartenmöbel der 50er und 60er Jahre erinnern. Mit diesem unprätentiösen Material schafft Lucia Dellefant unterschiedliche Raumbilder und Atmosphären, die wie beispielsweise in der Berliner Ausstellung 2007 an ein Sanatorium, aber auch an Universitätsplena oder an Diskussionsforen der Ökoszene erinnern. Die modularen Sitz- und Liegelandschaften sind selbst entworfene Modifikationen des nostalgischen Freizeitmobiliars, die den Besuchern neue Nutzungsmöglichkeiten eröffnen. Sie wirken daher freundlicher und ergonomischer und können zu größeren Einheiten zusammengeschoben werden. Sie ermöglichen verschiedene kommunikative Sitz- und Liegeformen wie beispielsweise das Face to face Sitzen und ebenso auch das Back to back Sitzen. Aufgrund der ungewöhnlichen Formgebung des Mobiliars ergibt sich durch deren Nutzung fast zwangsläufig eine Art performative Bespielung der Installation.
Der durch die Besucher geschaffene „performed space“ wird zum Forum für Gespräche über subjektive und gesellschaftliche Visionen (Berlin, Hof, München und Linz) und zum Diskussionsort über Formen der Wirklichkeitsaneignung, für die exemplarisch das Sammeln steht (Essen). Findet in herkömmlichen Ausstellungen noch eine Trennung zwischen Kunstbetrachtung, Information, Diskussion, sozialem Austausch, Muße und Entspannung statt, so wird sie bei „visioning“ aufgehoben. Diese Form der multifunktionalen Ausstellung ermöglicht, je nach Ausstellungsort das räumliche Setting zu variieren und neue Rezeptionsformen zu erproben.
Die oben angeführten Werkbeispiele sind exemplarisch und lassen Rückschlüsse auf die gesamte künstlerische Praxis von Lucia Dellefant zu. Sie konstruiert mit den eingangs aufgeführten unterschiedlichen künstlerischen Gattungen und Medien soziale Räume, die dazu beitragen sollen, die mit der Ausstellung verknüpfte Botschaft zu verdichten. Diese Form der Ausstellung könnte man mit dem Begriff des Dispositivs umschreiben, den der französische Philosoph Michel Foucault als „ein Netz“ definierte das zwischen „unterschiedlichen heterogenen Ensembles“ geknüpft werden kann und das „Diskurse, Institutionen, architekturale Einrichtungen, reglementierende Entscheidungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische, philanthropische Leitsätze umfasst“.
(Michel Foucault (1978): Dispositive der Macht. Über Sexualität, Wissen und Wahrheit, Berlin: Merve, S.119 f.)
© 11/2008 Susanne Jakob